MORSUM-SCHATZ

 

 

 

El Kindos kommt begeistert nach Hause. Er musste ausnahmsweise den Weg selber finden und bestreiten. Da sie vergessen hatten Bus-Geld einzupacken, ging er zu Fuß die lange Strecke. Doch war das Erlebnis in der Seminargruppe des Ferienprogrammes zu schön, als dass er schlecht gelaunt sein könnte. Die Teilnehmer des Filmprojektes durften mit weißen Handschuhen angreifen und aus direkter Nähe mit eigenen Augen betrachten, was der Inhalt ihres Werbefilmes war: ein tausend Jahre altes Schmuckstück - eine silberne Fibel.

 

 

Eine Fibel ist eine Kleider-Spange, die zum Beispiel Schultertücher einer Tracht vorne dekorativ zusammenhielt. Dieser Schatz wurde in der Erde eines Ackers in der Inselmitte vor Morsum gefunden und verbringt seitdem sein hübsches, silbriges Dasein in einem Museum.

 

 

Eigentlich suchte Lilly kurz vor den Herbstferien, die hier länger als anderswo dauerten, damit die Inselbewohner, die ja meistens in, vom Tourismus abhängigen, Branchen arbeiten, auch mal mit ihren Kindern gemeinsam Ferien machen können, nur eine - gern sportliche - Ferienaktivität. Dass ihr Sohn nun in einem Workshop eines echten Filmstudios gelandet ist, wo ein Werbefilm produziert wird, der im Anschluß random im gut besuchten Museum ablaufen soll, ist genauso crazy, wie vor einiger Zeit der Graffiti-Kurs, wo er mit Hamburger Künstlern die lange Mauer direkt am Meer sehr ansprechend und hip besprayte. 

 

 

"Du hinterlässt ganz schön Spuren hier. Da werden deine Kinder mal stolz auf dich sein, wenn du ihnen das in zwanzig Jahren dann zeigen kannst." lobt sie ihn schon sehr, sehr begeistert - wie das Mütter so an sich haben. Man denke nur an Leo di Caprios Mutter, die in ihrem Office seit Jahrzehnten jeden einzelnen Zeitungsschnipsel über ihren Sohn sammelt und sicher bald ein Museum daraus machen wird.

 

 

Ihr Junge ist zu bescheiden, natürlich wissend um seine Kraft, als dass er sich für seine Intensität gern in den Mittelpunkt stellen lässt, geschweige denn auch noch direkt Lob annehmen könnte, denn das würde heißen, Glücksgefühle offen zuzulassen und sich unweigerlich mit dem Umfeld zu verbinden. Wo kämen wir da hin?

 

 

Schließlich lächelt man ja auch möglichst mit geschlossenem Mund. Lillys Freude und Stolz werden gebremst, durch seine "Mama, du bist peinlich."-Äußerungen, da man einfach nicht so offen und laut zu lachen hat. Das wär ja noch schöner. "Manche Dinge werden sich spätestens ändern, wenn du eine Freundin hast!" ruft Lilly mit hoffnungsvoller Überzeugung. 

 

 

"Wenn du mich dauernd unterbrichst, zeig ich es dir eben nicht.", provoziert der Pubertierende ihre wachsende Neugier, bevor er ihr so kurz das Smartphone so knapp vor die Augen hält, dass sie tatsächlich überhaupt nichts gesehen hat. "Sah aus wie ein Pandora-Armreif.", blufft sie. Er legt das Handy hin. "Wow! Hast du die Fibel in der Hand gehabt und warst auch noch so schlau, sie zu fotografieren?". Innerlich freute sie sich über die journalistischen Züge im Wesen ihres Sohnes.