PAUSEN-FAIL

 

 

 

"Die Pieper sind tot!". Mittelmäßige Panik bricht aus. "Was soll das heißen?", fragt sie an der Essensausgabe. "Hörst du was?". "Nein.". Lilly schüttelt den Kopf. "Du hast die falsche Nummer gedrückt. Mach nochmal.". Sie berührt die heiligen Tasten des Gästerufes nicht, weil es nicht ihr Revier ist, aber einen Abend im Sommer und Full House ohne diese Rufgeräte kann sie sich nicht ohne ein ziemliches Chaos vorstellen.

 

 

Sie wartet ab, wie die KollegInnen dies nun lösen, als der erste volle Teller vom Grill zur Ausgabe geschoben wird. "Die 39!!", ruft der Kollege mit asiatischer Stimme. "Da ist das Essen kalt, bis dich wer hört.", löst ihn die Kollegin, die gerade von der Wintersaison in Österreich angekommen ist, ab. Mit kräftiger Stimme ruft sie laut: "Seezunge mit Salzkartoffeln und Gemüse!!"

 

 

Sie wird gehört, weil der Gast gleich in der Nähe steht. "Wie wollt ihr das machen, wenn die Gäste draußen sitzen?". Am liebsten würde sie ein Wölkchen werden und zum Strand davonschweben. Am Tresen hat ein Bekannter Platz genommen, der sich Hummer bestellt und von Lilly erklären lassen will, wie das nun funktioniert mit dem Knacken. Erna kommt ihr mit der Hummerzange zu Hilfe. Lilly kann ihm höchstens erklären, wie man zwei Flensburger gleichzeitig einschenkt.

 

 

Die Kollegin übergibt ihr die Zange und die lange, spitze Hummergabel. Er will nur ein wenig plaudern und bestellt sich und Lilly zwei Glas Champagner Rosé." Und wann soll ich das bitte schön trinken?". "Wir warten auf deine Pause.". Hamburger Großstadtflair haftet an seiner ockerfarbenen Versace-Jacke aus weichem Leder, welche das grau-blonde Wuschelhaar und die frechen Lachfältchen um die Augen betont.

 

 

"Zum Glück sind alle mit den Piepern beschäftigt.", schmunzelt Lilly. Er guckt auf die teure Uhr und wartet. Der gutgebaute Junge aus der Ukraine, der eben noch mit Kopfhörern und einem Buch auf der Bank saß und wartete, kommt nun in schickem Hemd und blauem Schlips zum Einsatz - er soll rasch die fertigen Gerichte austragen.

 

 

Sie beneidet ihn nicht, weil man an vollen Abenden schon mal 26000 Schritte, also 18 Kilometer beim Abräumen zurücklegt und das mit 2 bis 3 vollen Tabletts in den Händen, wie sie letztens mit ihrem Schritte-Zähler in der Tasche feststellte, als sie einspringen musste. Sie zieht sich zurück. "Wir zahlen die Ringe, wenn du heiratest.", lachen die Männer rund um den Grill. "Kann das wahr sein? Müsst ihr immer alles mithören?"

 

 

Sie greift zum "Italienischen Geliebten" - einem Bestseller aus gebundenem Papier, will ihre Freizeit genießen. Sie liest, er telefoniert very busy, der strenge Kollege, der sie abgelöst hat, tauscht den Champagner gegen Apfelsaft und schaltet den TV über ihrem Tisch an, wo nun alle Kollegen nacheinander mal hingucken. "Die vermissen dich aber.", stellt Leif fest. "Oh ja, Privatsphäre garantiert.". Plötzlich hört sie wieder die lauten Töne der Pieper, lächelt erleichtert, bevor sie die nächsten Stunden noch ukrainisch lernen wird.