abgeholt

...wird nun die tolle Gartenliege, auf der Lilly die ersten heißen Stunden dieses Jahres in der Nachmittagssonne genossen hat - wie ein kleiner Welpe eines Hundewurfes, der flügge wird. Die Auflage riecht noch neu nach Verpackung und wird zusammengerollt von der einen Dame, während die andere den aufgeweckten Dackel an der Leine hält.
Der große Norddeutsche mit stilechter, schulterlanger Friese, die durch ein Haargummi davon abgehalten wird, wild im Wind, der durchs Zimmer bläst und zumindest die weißen Vorhänge tanzen lässt, vor sein Gesicht zu drängen und die Sicht auf die Möglichkeiten des Transportes der sperrigen Holzliege zu stören. "Gefällt sie euch?", erkundigt sich Lilly neugierig, während sie es witzig findet, dass dieses Tischlerwerk aus ehemals dunklem Holz möglicherweise zu einer Reise mit dem Zug nach Klanxbüll aufbrechen wird.
Er sieht ihre Bedenken, erweitert rasch ihren Gedankenkreis: "Geht ja mit einem Surfbrett auch.". "Ja, genau. Stimmt auch wieder.". Ihr gefällt das Bild eines Surfers im Regionalzug mit seinem bunten Surfbrett ans Fenster eines Zugabteils gelehnt. "Als Österreicherin denkt man eher an ein Snowboard, doch wir sind ja an der Nordsee.", lacht sie in die Runde. "Ja, die nehmen wir.", stimmt er zu und seine beiden Ladys haben nichts einzuwenden.
Kräftig hebt er diese hoch und nutzt die beiden Rollen an der Vorderseite. Lilly freut sich auch und stellt sich vor, wie das Holz nun schön fertiglackiert wird und ein idyllisches Plätzchen in grüner Wiese vielleicht unter einem schattenspendenden Baum bekommt und mehr benützt wird, als hier in ihrer Wohnung, weil sie sowieso bei Schönwetter an den 150 Meter entfernten Strand schlendert.
"Jetzt ist wieder gut Platz im Zimmer, oder?". Ihr Sohn erinnert sie daran, dass sie leere Leinwände besorgen wollte. "Brauchst du ein paar Zeitungen als Unterlage beim Malen?". Er hält ihr einen Stapel der Wochenzeitung hin, der ihm beim letzten Mal übrig geblieben ist. "So viele Wohnungen gibt es nicht auf meiner Tour.". "Nee, die bringen wir zu Hot Spots, da ist Platz zum Auffüllen. Weißt du was, ich verwende die alten Fashion-Magazine.".
Sie klebt Seite für Seite aneinander, bis der gesamte Teil so groß ist, dass man darauf leere Leinwände in Kunstwerke verwandeln kann, ohne den Parkettboden in einen Jackson Pollock zu verwandeln, wogegen die Hausverwaltung etwas einzuwenden hätte. "Bist du fertig? Sieht gut aus. Also bist du nun auf Collagen umgestiegen?". "Hmm, eigentlich ist das die Unterlage, aber.... "
Am nächsten Tag betrachtet sie das Werk aus Hochglanzpapier mit Fotos der hippen Fashion-Fotografen und Supermodels in Verkaufsposen in teuren Kleidungsstücken. Als sie die Pinsel sortiert und die Acrylfarben auf Haltbarkeit überprüft, taucht auf dem Bildschirm der neue Podcast von Hartmann auf - er liest aus Lillys Sylt-Buch und das mit einer Stimme, der man noch Stunden zuhören könnte. Er schickt ihr ein Foto von der Liege im Garten.