untergegangene dörfer

 

Dass Sylt mit Sandaufschüttungen genug zu tun hat, wusste Lilly schon, aber dass es untergegangene Dörfer gibt, nicht. Nun liest sie im Sylter-Sagen-Buch aus dem Jahr 1925 über die Wirkungen des Meeres und dass Sylt einmal viel größer gewesen ist. Ein alte Chronik sagt von den Syltern: "Was sie nicht auf dem Lande hatten, konnten sie von Hoyer mit ihren Pferden und Wagen holen. Wenn sie des Morgens ausfuhren, konnten sie desselben Tages gegen Abend wieder heim zu ihren Häusern kommen.
So nahe waren die beiden Lande beieinander gelegen, dass man bei dem niedrigsten Wasser gemachsam mit Pferden und Wagen fahren konnte und auch zu Fuß wandern.". Lilly stellt sich dies traumhaft vor - einfach zu kommen und gehen, wie es ihr einfällt oder sogar mit dem Auto über den Sand aufs Festland zu fahren. "Warum nicht? In Dänemark sind wir auch mit dem Auto am Strand."
"Von was sprichst du?", fragt ihr Sohn, der sein kreatives Reportoire in der Küche erweitert hat und nach Müsli, Salat, Nudelgerichten, selbstgebackenen Brötchen nun auch Pizzateig selbst belegt. "Vor zweihundert Jahren konnte man scheinbar noch zu Fuß aufs Festland gehen. Hier steht: Noch im 18. Jahrhundert gab es mehrere alte Häuser auf Sylt, von denen es hieß, das Holz zu ihrem Bau sei mit Pferd und Wagen von dem Festlande geholt worden.
An der Ostseite Keitums führt ein Hohlweg nach dem Haff, der Huaderstich heißt, also einst nach Hoyer geführt haben. Obwohl es keine Spuren untergegangener Dörfer oder Kirchen sich finden, so spricht die Sage von solchen. Ihr Andenken soll erhalten sein in den Namen einiger Sandbänke und Tiefen. Von den im südlichen Haff untergegangenen Dörfern sind zum Teil noch Spuren vorhanden.
Südlich von dem jetzigen Morsum soll in der Gegend der Sandplatte Stiinnak eine Kirche Nistum und ein Dorf Österhörn gestanden haben. Von dem einst im südlichen Haff gelegenen Dorf Gatum soll, als die Gewässer dort überhand nahmen, ein Teil dahin gebaut sein, wo jetzt die östlichsten Häuser Archsums liegen.". Sie sieht zum sonnigen Fenster an der Westseite raus und genießt den neuen, heimeligen Sitzplatz in der Küche.
"Gatum? Nie gehört.", unterbricht sie der Junge - neuerdings mit Pomade im Haar, bis endlich wieder sein Stammfrisör öffnet - bei ihrer Siesta in der kräftiger werdenden Sylter Sonne, die sich immer mehr den Weg freischaufelt und bald die Menschen dazu bringen wird, fast nackt am Strand herumzulaufen. "Ja, eben. Darum geht es ja hier. Untergegangene Dörfer.". Sie hebt das Buch an und versucht die Linsenschärfe von sehr hell und geblendet auf die kleinen, schwarzen Buchstaben auf den cremefarbenen Buchseiten einzustellen. Es gelingt langsam.
"Ungefähr sechshundert Schritte im Südwes