PASSENDER ARCHETYP

 

 

 

Die Tatsache, dass er nicht auf der Insel lebt, ist niederschmetternd. Sie will sich auf keinen Fall aus dem Konzept bringen und von der Insel wegreißen lassen, er "auf einen Absacker."

 

 

Lilly ist zu tiefst beeindruckt von seiner intensiven Ausstrahlung, charmanten Wortgewandtheit, dem mitreißenden, ein größeres Maß an Intelligenz voraussetzenden Humor, einer beeindruckenden Fähigkeit, sich nicht drausbringen zu lassen, sowie diese fixe Hartnäckigkeit und natürlich, die Art, wie er sich bewegte: dieser schnelle, feste Schritt, der bodenständige Kleidungsstil, der blonde Haarschopf und die freche Mundpartie. Sein Auftritt ist ein einziger Flirt mit der gesamten Umwelt.

 

 

Ihr Idealbild von manngewordenem Mensch, ein Viertel Stil, Vaterlandstreue, Staatsanwaltsgehabe von Robert Redford, ein Viertel Gefühl, Beziehungswunsch, Humor und Verliebtheit wie der Mann aus Frühstück bei Tiffany's, dessen Name sie sich nicht merken kann, ein Viertel Larry Hagman als Meister in Bezaubender Jeannie, ein Achtel Familien- und sportlichen Wettkampf-Sinn von David Beckham, ein Achtel sexuelle Macht, viel Feuer in den Augen und das Schmunzeln Brad Pitts. Es ist gnadenlos und geschehen um sie.

 

 

Sie schreibt zurück: "Mir reicht meine Wohnung hier.", als hätte er um ihre Hand angehalten und um das Recht geworben, sich bis zum Ende ihrer Tage, um sie zu kümmern. "Wenn das nicht reicht, um ihn abzuschrecken, weiß ich auch nicht." triumphiert Lilly. Die Enttäuschung über die örtliche Distanz legt sich bitter vom Bauch bis in die Kehle. "Da sieht man Zeus am Olymp und möchte zu den Göttern aufsteigen...". Das Pochen in ihrer Brust wird so schnell und wild, als würden sich hinter dem Gerippe plötzlich zwei Herzen befinden.

 

 

Die Anzeige am Handy leuchtet wieder. "Ok. Ich bin neugierig auf dich. Hast du heute noch Lust, etwas zu schreiben?". Sie schüttelt den Kopf, denn Schreiben will sie nicht. Als hätte er sie gehört: "Telefonieren? Treffen? Chatten? Was du willst.". "Also, was ich will und zur Auswahl steht: telefonieren, treffen, chatten.", lacht Lilly und schiebt das digitale Kommunikationsgerät unters Kissen. "Tolle Auswahl.". Sie geht ins Badezimmer, um sich mit kaltem Wasser, die Hitze von den Wangen zu waschen.

 

 

"Sam!", ruft sie ihren Sohn, der in der oberen Etage mit seinen Sammlungen beschäftigt ist. "Da war heute ein Mann im Laden.". "Und?" versucht er einen belanglosen Begleitton mitschwingen zu lassen, der verbergen soll, dass er es nicht gern hat, wenn jemand anderer am starken Ast seiner hart erkämpften Alleinherrschhaft zu sägen beginnt. "Ja, er hat auch einen Sohn in deinem Alter.". "Davon wird es mehrere geben.".

 

"Aber er macht sogar mit seinem Sohn Urlaub, obwohl er gar nicht mehr verheiratet ist - hab ihn gefragt.". "Während du ihm Tee verkauft hast?", lacht er. "Ja.", jetzt lacht sie auch. "Und da hat er drauf geantwortet?", stell ich mir witzig vor. Er lacht noch mehr. Sie auch. Ihr wird schon wieder heiß: "Ja, hat er."