KULINARISCHER LIEBES-TELLER

 

 

 

"Entweder magst du mich wirklich nicht oder du machst das mit Absicht.", schäkert der Schwabe nachdem sie ihm zum zweimal die schwere Getränkelade ans Schienbein gestoßen und gerade eben das Ende des Schürzenbandes in die Kassenlade eingeklemmt hat. "Hoppla, sorry.". Er tackert ihr Schürzenband an seines, so dass sie nicht mehr wegkann. "Hast du schon mal eine Perle in den Austern gefunden?"

 

 

"Genug aufgemacht, hätte ich, aber war nie was dabei.", bedauert er die Tatsache, dass auch nach 7000 Austern nichts zu finden war. "Liegt wohl an der Wassertemperatur, oder?", fragt sie nach. Er ist längst weg - die übervollen Kisten mit dem Leergut von den letzten zwei Stunden rausbringen. Am Tresen erzählt ihr ein Gast, wie er an einer schottischen Küste Hummer gefangen hat - mit den bloßen Händen. Sie staunt. Das Paar daneben erinnert sich, dass es an der französischen Küste öfter mal Perlenfunde in den Austern gibt - haben sie gehört, als sie dort auf ihrer Reise waren.

 

 

Sie sind fertig mit ihrem "Liebes-Teller", der heute überraschend auf der Menükarte stand. Ihr Chef ist grade in den Hochzeitsvorbereitungen und das macht sich nun bemerkbar. Die Frau bezahlt. Der Mann lächelt verliebt. "Tja, die Dinge ändern sich.", ist es Lilly mehr oder weniger egal, aus welcher Geldbörse, die Scheine kommen, die sie für den Inhaber in die Kasse legt. Zum Abschluss gibt es noch einen Espresso für die Dame und stilles Wasser für den Herren. Die winzige Tasse ist heiß, Keks liegt am Teller und die Kaffeemaschine läuft. "Das Wasser habe ich vorher schon so angeschrien, dass es nun ganz still ist."

 

 

Er ist wieder da ihr Kollege. Nun scherzt er weiter mit den Gästen. Als es Abend wird und mitten im größten Besuchersturm tauscht er plötzlich ihre Namenschilder aus. Das hält die Stammgäste schon mal gut bei Laune. Als er dann auch noch anfängt, sie ständig mit seinem Namen zu rufen, tun Lilly schon die Wangen weh vom Dauergrinsen. In diesem Stil geht es noch Monate dahin.

 

 

Als ein älterer Mann mit sehr zittriger Hand versucht, das Glas zu greifen, steckt A. spontan zwei Trinkhalme ineinander. So kann der Mann ohne Malheur trinken. Wenn Reisegruppen mit Seniorinnen ankommen, ist er der erste bei der Eingangstür und lässt seinen Charme spielen, während er die Tore öffnet. Sie spricht ihn darauf an und er erzählt ihr von seinen neun Wochen Koma nach Autounfall mit 17 Eisenplatten im ganzen Körper verteilt: am Schädelknochen, linken Unterarm, geschraubtes und genageltes Knie, angebrochene Wirbel, gebrochener Kiefer.

 

 

Dann später nach 14 Jahren auf See überstand er eine Fischvergiftung nach 9 Wochen, an der er fast verstorben wäre. "Du darfst nicht zu nah an Magneten kommen...", versucht Lilly ein sanftes Scherzchen. "Mit dem Koma haben wir ja was gemeinsam.", stellt sie fest und atmet zuerst mal tief durch. "Deswegen sind wir ein paar Grade fröhlicher als die anderen.". Er nickt. Die Gemeinsamkeiten schaffen eine beneidenswerte Harmonie, die nicht unbemerkt bleibt.