Invasion der grossstädter

 

 

Nach einem Film-Workshop, einem Graffiti-Kurs, Tenniskurs, Surfkurs und dem gesponserten Golfkurs ist sich Lilly sicher, alles für ihr Kind geboten zu haben, was das Jugend-Herz sich erträumen kann. Sie denkt zurück an den ersten Sommer, wo er noch mehr oder weniger wild am Strandspielplatz und beim Beachsoccer und -Volleyball und Schach herumlief und machte, worauf immer er gerade Lust hatte.

 

 

Der Strandabschnitt neben ihrer Arbeitsstelle war wie ein guter Freund oder Babysitter, der 50 Meter um die Ecke lag. Sie wäre selber auch lieber in der freien Natur barfuß am Strand herumgelaufen und ein paar Längen am Rücken dahingetrieben mit der Sonne am Bauch. Alles lief gut - bis zu dem einen Tag zu Ferienbeginn:

 

 

"Was fällt ihnen ein, mein Kind zu entführen?", zischt Lilly einen erwachsenen, sonnengebräunten, aufgebrachten Mann an, den sie noch nie hier gesehen hat, der also mit Sicherheit zu dem eingefallenen Ferienvolk vom Festland gehört. Mit gemäßigter Stimme, beruhigt sie ihren halbwüchsigen Sohn: "Ich hab dir gesagt, geh jetzt nicht am Spielplatz, da geht es mit einer Großstadt-Mentalität zu."

 

 

Als sie bemerkt, dass der ohne Schuhwerk vor ihr ihm Laden steht, offensichtlich unfreiwillig wird sie etwas strenger - dem Mann gegenüber. Er will seine Stimme anheben, als Lilly entschieden klar macht, dass sie keine Zeit für private Diskussionen hat, da sie eine Masse an hungrigen Gästen in einem gastronomischen Betrieb an einem Sommertag in der Hochsaison durchbringen muss.

 

 

Sie will hier keine Probleme, deswegen holt sie ihren Sohn in Sicherheit um den Tresen und schickt ihn in das kleine, gemütliche Esszimmer mit Mini-Küche und Sofa, gleich neben den Garderoben und Dusche, im ersten Obergeschoß. Er nimmt sich eine Trinkflasche und zieht sich zurück. Der verrückte Mann steht immer noch vor ihr und wartet auf irgend etwas. Sie bietet ihm an, sich doch etwas zu Essen zu kaufen, dies beruhigt die Nerven, doch hat er mit der Laus zu kämpfen, die ihm über die Leber gelaufen ist.

 

 

"Wollen sie nicht wissen, was los ist?", fragt er sie. "Nein, ziehen sie sich erst Mal Schuhe an und führen sie sich nicht so auf. Ihre Familie sucht sie bestimmt schon.". Sie ignoriert ihn weiters und gibt sich wieder ihrer Nettigkeit und konzentrierter Arbeit hin, der Tag sieht nicht so aus, als würden die Hungrigen plötzlich von selber weniger werden. Sie läuft dann kurz nach oben, erkundigt sich, wo der Kleine die Schuhe gelassen hat.

 

 

"Die liegen am Spielplatz - der Typ hat mich ja von dort bis hierher geschleppt, weil seine Frau hysterisch wurde, als ihre Tochter vom Karussell gefallen ist.". Lilly atmet tief durch und erinnert ihn nochmal daran, dass es nicht jeder so chillig und entspannt hat, wie er in seiner Kindheit im Paradies. "Ja. Ich sagte ihr sogar noch, dass sie da aufpassen soll.", will er sich rechtfertigen. Lilly schiebt ihm einen Teller voll mit Putenschnitzel und Pommes und buntem Salat hin und stellt eine Apfelschorle dazu. "Ok?". "Ok."

 

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