chillischoten & rosé

Wenn Lilly nun eines ganz sicher weiß, angesteckte Haarteile und nicht kussechter Lippenstift eignen sich nicht für erste Dates. Wenn sie zumindest gewusst hätte, das es sich abends bei der spontanen Aktion eines möglichen zukünftigen Arbeitgebers, der gleich darauf hingewiesen hatte, dass er nach langfristig orientierten MitarbeiterInnen sucht, aber sichtlich ihre Nähe genossen hat und sich das Erstgespräch über den ganzen Nachmittag ausweitete, an welches auch gleich noch eine Abendepisode drangehängt wurde, um sie im ´Flow´ zu halten, eigentlich eher um ein Date handelte, als ein Arbeitsgespräch, hätte sie zuvor reagiert.

Doch es kam ganz überraschend und fühlte sich eher an, wie in alten, lustigeren Zeiten, Verkaufsdruck und -mentalität, wie sie es aus der Gastronomie kennt, inklusive. Zu den finanziellen Provisions-Gustostückchen würde sich wieder Wochenendarbeit gesellen und das will sie nie wieder haben.

"Nur, wie sag ich es ihm?". Sie ist vorerst einmal zurückhaltend und wartet ab, was geschieht. Eigentlich hat sie dort nur angerufen, weil sie eine Zusendung bekam und er gemeint hat, sie soll gleich vorbeikommen. Das hat sie gemacht und nun sind sie zusammen wie ein junges Ehepaar auf dem Weg zum Abendessen. "Das Restaurant ist geschlossen.", ist sie sich sicher, als sie die dunklen, leeren Räumlichkeiten, wo früher jeden Abend die Hölle los war beim Bowling und Bistro, sieht.

"Nein, da ist geöffnet.", erwidert er, während er mit der schmal geschnittenen Hose und den weißen Sneakern, die ihr in der Finsternis den Weg zeigen, die Hausfassade entlang über die Holzterrasse zu seinem Seiteneingang schreitet - sie hinten nach. Die erste dunkle Holztreppe bringt sie zum Stolpern und legt sie erst einmal schachmatt.

"Ein Stoppzeichen? Erinnerungen an durchzechte Nächte?". Ihr schießen alle möglichen Dinge durch den Kopf, doch er hilft ihr auf und weiter gehts in zweisamer Einsamkeit im Restaurant. Der Tisch ist gedeckt und es gibt sein Stammgericht. Bis es serviert wird, schenkt der Inhaber Rosé und Rotwein in die Gläser. "Mein erster Drink seit 8 Monaten oder noch länger.", stellt sie fest und lächelt gefasst.

"Was hat diese Corona-Seuche nur mit uns gemacht?". Sie erkennt sich selbst nicht mehr in der Spiegelung der Glasfront und das einstige Zentrum der Geselligkeit - die Bowlingbahnen - liegen wie in einer Geisterstadt vor ihr. Der erste Schluck Wein schmeckt süß.

"Würde gut zum Essen passen, statt davor.". Er beginnt über ihren Lebenslauf zu plaudern. Sie stellt fest, dass die Dinge ganz anders kommen, als man plant. Sein Gericht sieht verlockend aus und Lilly klaut sich nach ein paar Happen davon die kleine, rote Chillischote. "Isst du die nicht?". Er sagt nichts bis sie hechelnd mit Tränen in den Augen und Extrem-Schluckauf nach dem Glas Milch greift, dass hinter ihr schon bereit steht. In größerer Gesellschaft wäre dies alles noch lustiger, als es ist. Große Sehnsucht nach Geselligkeit erfasst sie.