POSTKARTENMOTIV

 

 

 

"Waaas hat er?" ruft Lilly ins Telefon, beruhigt sich aber wieder, nachdem sie das Auto an die rechte Seite gefahren und die Ausführungen des Polizei-Kommissars am anderen Ende der Leitung bis zum Ende angehört hat. "Ok, ja, sicher dürfen sie meine Wohnung betreten und in die Schublade meines Sohnes schauen." beruhigt sie ihn und sich gleichzeitig.

 

 

Als sie zuhause ankommt ist der Braten gegessen und der Jugendliche längst wieder mit seinen Freunden unterwegs, in seinem Lieblings-Restaurant, wo er gerade aufgehalten wurde und kontrolliert, ob er eine Waffe bei sich trägt, weil ihn vor einem Monat jemand dort fotografiert hat, als er scheinbar eine Pistole in der Tasche hatte und zu der Zeit sich hier am Schulzentrum ein Vorfall ereignet hat, der die Auswirkungen der gesetzeswidrigen Politik der Nochregierenden veranschaulicht.

 

 

Nun werden fröhliche Jungs festgehalten, wenn sie mit Freunden Cowboy-Spielzeug-Pistolen im Faschingskostüm von der einen Wohnung zur anderen transportieren. "Ich hab ihm das erklärt und nun weiß ich ein paar Dinge mehr als vorher." gibt der Gerügte kurz seinen Kommentar ab und zieht sich zurück.

 

"Kannst du dich noch erinnern, als wir hier ankamen? Wie frei, offen und gut gelaunt es hier zuging? Wir waren fast rund um die Uhr am Strand. Vergiss das nicht, wie schön es die ganzen Jahre war. Schlaf gut.". Sie beneidet ihn darum, schon eine ältere, erfahrene Mutter zu haben.

 

 

Sie schließt die Tür nicht ganz, tappt in das andere Zimmer, öffnet am Notebook ihre Bilder-Dateien, scrollt zurück, entdeckt Fotos vom Gymnasium, das in einem nicht zu großen, modernen Gebäude-Komplex liegt. Es ist alles, wie aus einer der Serien, wo man nur glückliche Jugendliche in Beverly Hills, mit viel Sonne im Gesicht und dem Sand vom letzten Surfausflug in den Haaren, zusammen in einer hübschen Mensa plaudern sieht, bevor sie gutgelaunt in einem offenen Jeep zur nächsten Strandtour losziehen. Genauso schön liegt hier das Schulzentrum.

 

 

Über den Dächern strahlt der blaue Himmel mit dem Grün der Flächen um das Haus um die Wette. Wenn man vor dem Gebäude steht, kann man die Meeresluft riechen, Möwen fliegen sehen, den Wind an der Nasenspitze spüren. Freier und geborgener kann Schule gehen nicht sein, als hier auf der Insel. Lilly fühlt sich bestätigt, in ihrer Entscheidung, sich der am Festland längst tobenden Kulturschock-Welle zu entziehen, welche durch die verheerende Waffenpolitik zustande kam. Sie wünscht sich für ihren Jüngsten eine behütete, freie Kindheit und ist irgendwann selbst "geflüchtet". Wie sagt ihr Großvater so schön: "Willst du einen Österreicher treffen, musst du ins Ausland gehen."

 

 

Auf den noch früheren Fotos, sieht sie sich ihr Kind von der Grundschule abholen, neben Tennis- und Golfplatz, umgeben von weiten Wiesen mit glücklichen entspannten, schwarz-weiß gefleckten  Rindern, gleich unter einem europaweit bekannten Postkartenmotiv: dem großen, weiß-blau gestreiften Leuchtturm in Kampen.