lese-instinkt

 

Es räumt eine junge Frau im Zuge der Restaurierung ihres schnuckeligen, versteckt am Ende einer engen Straße gelegenen Friesenhäuschens, die Sammlung unter anderen interessanten Titeln ihrer original amerikanischen Bücher, teilweise sogar noch folienverschweißt, aus und möchte diese weitergeben.

Lilly nimmt das Angebot spontan an, denn ihre aussortierten Bücherregale - die bereits gelesenen Werke sind zu den Töchtern verschickt, mit dem blauen Paketservice, wo das Gewicht mehr oder weniger egal ist, weil die hier auf der Inselstation keine Waage haben, in der Hoffnung, sie gucken rein, dekorieren damit oder basteln aus dem bedruckten Verpackungen - lassen die Räume leer und bisschen verloren wirken.

Es ist niemand da, wenn man nach Hause kommt: keine Abenteuer, keine Love-Storys, keine kunstvollen Fotobücher, keine Ratgeber, keine Rezeptetips, Reiseberichte und Länderkarten und keine Krimis. Nun vermisst sie ihre LieblingsautorInnen, die sich ja durch die Anwesenheit in den Räumen einen gewissen Status erarbeitet haben bzw. jeder Leser seine Favoriten finanziell dabei unterstützt, den Lebensstandard zu erhalten.

Mit ihnen ist auch der fröhlich-leichte Humor der Schriftstellerinnen, die subtile Erotik der Anais Nin, das Abenteuer der vielen verrückten, lebenshungrigen Reisenden und die den Alltag beschreibenden, die Menschen und Vorgänge beobachtenden, wissenschaftlichen und philosophischen Ausgaben der meist männlichen Autoren und die dezimeterdicken Schinken, wo einer (auch maskulin) platzergreifend und schwer mit einem ansprechenden Cover autobiografisch mit jeder kleinsten Ausführung über sein Leben schreibt, was man sich gerne unter den Spiegel über der Kommode der Hausbar als Dekoobjekt legt, um, gleich neben der Kristallkaraffe mit Single Malt, einen Starter für belanglosen Small Talk bereit zu haben, wohl im Wissen, dass eine so hohe Seitenanzahl dessen Tantiemenabrechnung am Ende des Jahres an den Autorenzenit pusht.

Angeleitet von der sympathischen Stimme auf Google-Maps, dass sie am Handy abspielt, weil der Wagen noch vor der Digitalisierung der Automobile hergestellt wurde, kurvt Lilly durch die dunklen Straßen und parkt sich etwas zu spät und mit ´Silberrücken´, wie sie ihr zuverlässiges Transportmittel nennt, auf einen der freien Plätze - weit weg vom Bauschutt, um nicht in einem Flashback aus ihren Dauer-Restaurierungszeiten vor 25 Jahren zu landen.

Dieser stellt sich als entfernte Einbauküche heraus, deren Bretter kreuz und quer gestapelt vorm hübschen Garten liegen.

Die nette Dame ist herzlich, aber hält Abstand, an das sich Lilly immer noch nicht gewöhnt hat, schon sehnlichst die Impfung herbeisehnt, damit der Spuk endlich ein Ende hat. Es gibt zwei Kartons Lesestoff geschenkt und Lilly ist superneugierig, wen sie sich da nun in ihr Wohnzimmer holt. Ihre zwei großen, leeren Tüten liegen natürlich jetzt im Auto, wie sonst nur die Gesichtsmasken.