LAUTER LIEBE GÄSTE

 

 

 

Kollegen stehen hier so nahe beisammen, dass jede minimalste Stimmungsschwankung jedem der anderen auffällt. So geschehen, als Erna - eine Kollegin, die seit 25 Jahren die Stellung hält, aber aussieht, wie höchstens 29 - von einem Gast zu lange über private Dinge angequatscht wird. Ein netter Schnack und Späßchen sind gern gesehen, aber, wenn jemand überhaupt nicht aufhören kann, dann ist es Usus, dass sich Kollegen einmischen und die Sista in Crime, die aufgrund unserer Arbeitsmoral, die von einladender Freundlichkeit geprägt ist, aus der Situation rettet, bevor es der Chef selber macht. Keiner will, dass er aus seiner gechillten Balance gerät.

 

 

Dieser Wolfgang erzählt endlos von seinem Hörgerät. Inzwischen wissen wir alle, dass es 1700 Euro kostet, wo man es bekommt, wie es angepasst wird, wie man es pflegt und verwahrt und einstellt. Es nimmt kein Ende. Lilly bemerkt, wie sich die Lippen der Kollegin zu einem schmalen Streifen verwandeln. Er hört nicht auf. Lilly bietet ihm von der anderen Seite ein weiteres Glas Wein an, räumt das erste weg, obwohl es noch nicht ganz leer ist.

 

 

Er schwenkt um, lässt von Erna ab, findet sofort ein neues Gesprächsthema für Lilly: Seine Vergangenheit. Diese findet im Burgenland, in Wien, Neusiedl und im Krieg statt. Sie amüsiert sich über seine detaillierten, professorenhaften Ausführungen, findet sich kurz gut unterhalten, während sie den Wein einschenkt. Er hat seinen Platz gewechselt und Erna lacht wieder. 

 

 

Als ein österreichischer Heeresführer mit deutschen Streitkräften und schachzugartiger Vorgehensweise die Franzosen einkesselt und er auf die Engländer im Mittelmeer umschwenkt, bevor er zu den europäischen Königshäusern wechselt, rechnet Lilly den Wein ab. Er wird leicht provozierend, als er merkt, ihr Interesse ist vorgetäuscht.

 

 

Aus Mitgefühl bewundert sie sein Käppi auf dem Queen Victoria steht, er bestellt sich eine Mahlzeit, noch ein Glas Wein, um weiterzuerzählen von seinen Kreuzfahrten. Sie lächelt in seine Richtung am Bartresen, sortiert inzwischen die Flaschen in der Kühlung neu. Ein junger Typ mit halbaufgesetzter, weinroter Strickmütze und in Joggies versucht sich inzwischen über das Angebot zu erkundigen. Erna gibt ihm eine Speisekarte mit.

 

 

Kurz darauf kommt er mit seiner asiatischen, schlanken Freundin und zwei Rollkoffern wieder zurück. Lilly soll ihm die Speisen auf übersetzen, das sie nur koreanisch oder englisch verstehen. "Keine Ahnung, was Scholle oder Seezunge auf englisch heißt.", guckt sie zu ihrem Filialleiter. "Dann nimm doch einfach die englische Karte.", schlägt er vor und zeigt auf das schmale Fach an der hellgrauen Granit-Säule zwischen ihnen.

 

"Puhh... sowas haben wir?", freut sie sich, huscht kurz von ihren Gästen weg, um zwischen den vielen Unterlagen die hilfreiche Karte rauszusuchen. "Wenn noch eine da ist. Sonst musst du schnell ins Büro fahren und welche kopieren.". "Scherz oder?". Sie blättert. "Habs!". Alle sind zufrieden.