nächtliche erkenntnis

 

Das Licht des Kühlschranks scheint ihr hell ins müde Antlitz. Jeder will etwas - der Versicherer eine neue Lebensversicherung mit 5 Jahren verlängerter Dauer und verdoppelter Summe, das Amt eine Antwort auf die etwa fünf Briefe zum gleichen Thema, obwohl sie es selber beantworten können, das Auto eine Klimaanlagenreparatur, weil die Heizfunktion passend zum nahenden Winter ausgefallen ist, der Junge eine anwesende Mutter mit Animationsqualitäten, einem LV-Rucksack voll Geld und eine größere Familie mit viel Spaß und Action, die Gesellschaft ihr Leben zurück und der Body Bewegung.

Sie ist aber magisch angezogen vom halbvollen Glas mit einem cremefarbenen Etwas darinnen. Sie befreit es aus der konservierenden Kühle und bemerkt, dass dahinter noch ein Intaktes steht, wo die Oberfläche so richtig schön fluffig ist, gerade in der richtigen Konsistenz. "Und Pesto?". Als sie sich noch eine Stufe tiefer bückt und den Kopf nach rechts legt, fällt ihr das gut verborgene Glas mit seinem Lieblingspesto auf.

Wenn nicht das neue, frisch zubereitete Etwas sie in ihren Bann gezogen hätte, würde sie das Basilikum-Pesto mit knusprigen Toastecken vernichten, doch nun gibt es kein Zurück. Sie zieht das volle Glas nach vorne und behält das andere für sich. Da sie nicht gesehen hat, was auf dem Karton der Fertigvorlage für das selbst gemixte Dessert stand oder abgebildet war, muss sie probieren, um zu wissen, ob es noch einmal gekauft wird.

"Ah, Tiramisu-Créme.". Sie gönnt sich mehrere zarte Portiönchen auf dem kleinen Teelöffel. Es ist eine Verlockung, aber eine, nach deren Genuss, man sich wünscht, dies nicht über die Geschmacksknospen auf der Zunge in den Körper geschleust zu haben. Reue nennt man das dazugehörige Gefühl danach.

Nicht, weil es nicht vorzüglich schmeckte, sondern es danach so lange für das schlimme Völlegefühl sorgt, dass man bei einem heißen Kräutertee, frischem Apfel oder scharfem Essen eben nicht hat. "Fluffig und frisch schmeckst du nur, weil dich mein junger Sohn zubereitet hat.", spricht sie mit dem leeren Dessertglas, wegen dem sie jetzt den ´Schwarzen Peter´ gezogen hat und den Geschirrspüler ausräumen muss, bevor sie etwas reinstellen kann.

Sie wird ihn wieder auf die Pasta- und Parmesan-Spuren lenken und aufhören, Quatsch zu kaufen, nur weil in der Küche jetzt mehr Platz ist. Wenn sie wüsste, wo sie ein Kilo von den 3,7 Millionen pro Jahr produzierten Laiben Parmigiano Reggiano, der seit etwa 800 Jahren in nahezu unveränderter Form hergestellt wird, zum Sparpreis jedes Monat herbekommen könnte...

Lilly mag ihn einfach in abgebrochenen Stückchen zum Knabbern, während ihr Sohn gern in Scheibchen geriebenen Parmesan (zum Glück ein hervorragender Kalziumlieferant, der Knochen und Zähne stärkt) mit großen Spiralnudeln bevorzugt. "Wahrscheinlich direkt in der Region.". Sie sieht die Reisewarnungen und will noch Online-Shops der Anbieter googlen, doch ist zu müde vom Dessert, schläft ein...