die macht sei mit mir

 

Lillys Sohn will in den Ferien nach Österreich, obwohl sie inzwischen 4 Kurzreisen und 1 längere gewonnen hat. Sie wälzt dies auf ihre Töchter ab - wozu hat man 3 Mini-Me´s. "Eigentlich könnten wir auch Natalie fragen, die hat sicher gerne Abwechslung im Haus. Was hältst du davon?"
Der Junge ist von jeder Idee begeistert, die sein Ferienleben bewegter macht und tippt auf seinem Handy herum. Lilly hat in einer Diskussionsrunde bei Lanz, Will oder Maischberger mitbekommen, wie die Bildungsministerin auf die fehlenden Investitionen in die Modernisierung des Schulwesens in Deutschland hinweist.
"Die Kinder lesen A4-Arbeitsblätter auf ihren Handys ab. Das sind nicht die besten Umstände für Home-Schooling.", stellte diese fest und Lilly beobachtet auch genau diesen Fakt bei ihrem Sohn, obwohl ein Laptop daneben steht. "Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll.", meint er auf ihre Nachfrage und seine machomäßigen Chef-Allüren beunruhigen sie ein wenig. "Nicht jeder hat gleich eine Sekretärin."
Sie bestellt ein Tablet. "Vielleicht kommt das besser an.". Als sie die Seite schließt, erscheint auf der Google-Startseite Werbung für ´Deutsche Naturschönheiten´, was wohl damit zusammenhängt, dass sie sich für die Nordischen Sagen interessiert hat. Gleichzeitig postet ihr Pressekollege etwas über Sagenwelten in Kampen. "Alles ist vernetzt.", ist sich Lilly sicher. Als nebendran die Erinnerung erscheint, in ihrem Warenkorb befinden sich noch Artikel, die auf sie warten, wird es aber schon wieder gespenstisch.
"An den Google-Assistenten muss man sich aber immer wieder gewöhnen.". Sie klickt alles zu, fährt das Gerät herunter. "Pause mit digital. Die Macht sei mit mir, mich von dieser Informationsflut loszureißen.". Sie stöbert die Post durch, notiert sich, einen schicken Brieföffner zu besorgen, weil die scharfen Kanten des Papiers immer wieder kleine Schnitte in die Haut ziehen, während die wunderbaren weißen Schokoblättchen vermischt mit lockeren Haferflocken und getrockneten Früchten von der transparenten, knisternden Müslitüte ins Magermilch-Jogurt rieseln. Es springt ihr ein Artikel auf einer der Magazine, die sie alle schon zu Beginn des Jahres abbestellt hat, ins wache Auge: ´Deutschlands geheime Weltwunder, 19 mystische Orte und wie man dort hinkommt.´

 

"Jetzt reicht es aber. Es kommt aus jeder Ecke.". "Dann würd ich mal reinschauen.", ruft einer aus dem Jugendzimmer. Die frischen Preiselbeeren färben das Jogurt beim Umrühren lila und sie blättert analog durch die News. Die Artikel halten sie gefangen, schüren Begeisterung für das Land in dem sie seit 5 Jahren und 11 Monaten lebt, was sie bisher noch nicht so verspürte als Sylterin, die nur den Strand und das Meer im Sinn hat. "Oh, Deutschland als Wiege der Menschheit?". Nr. 17 hat es ihr angetan: ´Der Dschungel in dem die Menschheit laufen lernte.` . "Im Allgäu. 12 Mio. Jahre alte Fossilien von Primaten? Hatten wir nicht mal eine Deutschlandkarte?"