ERSTBELEHRUNG

 

 

 

"Ich muss zu einer Erstbelehrung. Das kostet 25,-. Zahlen wir das selbst?", erkundigt sich Lilly an ihrem ersten Arbeitstag in der Gastronomie. "Bring einfach die Bestätigung. Warte.", er greift in die Kassa und gibt ihr den Betrag auf die Hand. "Was möchtest du heute essen?". "Das ist der Himmel auf Erden.", genießt sie diese Frage und sie wird diese jeden Tag wieder hören. "42 Jahre musste ich werden, bis ich mal nicht selber oder für eine ganze Familie kochen muss und einkaufen und abräumen."

 

 

Sie stellt fest, dass sie seit ihrem 19. Lebensjahr einen kleinen Betrieb geführt hat - mit ihren vielen Kindern und einem Mann, der täglich einen guten Appetit mitgebracht hat. Sie wundert sich immer wieder, wie leicht Arbeit sein kann - und wieviel Spaß es macht. "Ich muss nur die Schmerzen bei der spürbaren Zwangs-Schrumpfung des Großhirns absehen.". Sie verwirft sämtliche Statistiken, jedes betriebswirtschaftliche Denken, intellektuelle Gedanken, strukturelle Verbesserungsansätze und konzentriert sich aufs Spaß haben. 

 

 

Ihre Beine tragen sie nach einem leckeren Kabeljaufilet mit Pellkartoffeln und Brokkoli in eines der schnuckeligen Friesenhäuschen aus roten Backsteinziegeln mit Reetdach, in dem sich ein allgemeiner Arzt eingerichtet hat. Sie erwartet eine Untersuchung. Die Ordinations-Assistentin führt sie in einen Raum, in dem sie auf den Ablauf einer DVD am großen Flat-TV wartet. Wie befürchtet ist das Licht im Zimmer zu hell, um die Grafiken sehen zu können.

 

 

So versucht sie akustisch der Message zu folgen. In etwa zwanzig Minuten erzählt eine ruhige Männerstimme von Bakterien, die sich an den Händen verdoppeln und dann wieder verdoppeln, weswegen das Reinehalte- und Händewaschgebot von hoher Wichtigkeit in der Lebensmittelbranche ist. Die Assistentin verabschiedet sie, als der Film zu Ende ist. "25,- für 20 Minuten. Nicht schlecht!", wundert sie sich, läuft zurück, die Treppe rauf in die Garderobe, wo ein Arbeitskollege, den sie bisher noch nie gesehen hat, in den Shorts vor ihr steht und sie sich fürs Nichtanklopfen entschuldigt.

 

 

Sie wendet sich rasch  ab, weil er tatsächlich sehr gut gebaut ist. Sie bleibt in ihrer Garderobenecke stehen, schlüpft in ihre schicke Bluse und bindet sich diese blaue Kurzkrawatte um den gebügelten Kragen. "Bist du fertig?", fragt sie bevor sie wieder hervorkommt. "Wir sind hier eine große Familie.", beruhigt er sie mit einer Stimme, die perfekt zum trainierten Body passt. "Ja, das ist schön. Ich warte trotzdem bis du deine Hose anhast."

 

 

Sie spielt mit ihren lackierten Fingernägeln an den Knöpfen der Bluse und ihr fällt auf, dass der Nagellack laut Videopräsentation ab muss. "Wie gefällts dir?". "Gut, danke.", antwortet sie kurz, weil sie in Gedanken beim verklebten Griff der Schwingtür ist, die mit ihrer Wucht einem Hindernissparcour ähnelt, vor allem, wenn man gerade mit einem vollen Tablet durchlaufen soll und weiß, was sie als erstes abschrubbt, wenn sie unten ankommt.