VOLLMOND-SPAZIERGANG IN LIST

 

 

 

"Wir gehen jetzt von List nach Kampen. Das wollte ich dir noch sagen. Es ist ja hell, der Vollmond scheint.", tüüt, tüüt, tüüt. "Alles klar, von List nach Kampen zu Fuß? Da kommt er dann morgen früh zu hause an. Was hat er denn für eine Jacke an? Um zehn Uhr nachts?", grummelt Lilly vor sich hin, während sie weiter den 17,3" Laptop mit ihren Apps und Streaming-Sendern vollknallt.

 

 

"Wo sind denn die Google-Fotos, wenn man sie braucht?", klickt sie hin und her und wieder zurück. Das Kabel ist zu kurz, sie wechselt die Stromstecker aus. Nun baumelt einer ohne Anschluss herum, deshalb notiert sie sich auf der Liste: Dreier-Stromverteiler, neben einigen anderen Dingen. Früher dachte sie, wenn sie einmal alles hat, dann hört es endlich auf ...mit den Listen. Aber der Tag kommt anscheinend nie. Es fehlt auch noch so ein transparentes Liquid-Bag. Notiert.

 

 

"Wie spät ist es überhaupt?", fragt sie ihren inneren Kumpel, bevor sie sich am Sessel zum Balkonfenster dreht, um an der Helligkeit des Himmels die Uhrzeit abzulesen. Ihre Armbanduhr hat nach fünfeinhalb Jahren, also zweieinhalb Jahre früher, als das gleiche Vorgängermodell, den Geist aufgegeben, nachdem sie es beim Spezialisten zum Batteriewechsel gebracht hatte und so wird sie zu einer derjenigen, die sogar für die Uhrzeit schon das Handy oder den Computer brauchen.

 

 

"So geht es jedenfalls nicht weiter.", ermahnt sie sich sanft, während sie die schwarze Reserve-Uhr mit dem zu kurzen Armband aus der Versenkung raus kramt und ihr ein ehrenvolles Getragenwerden verspricht, wenn sie wenigstens die Uhrzeit richtig anzeigt, wenn schon das Datum noch nicht korrekt nachgestellt ist.

 

"Was? Halb elf und da wollen sie zu Fuß, wahrscheinlich auf der einzigen, großen Straße, umgeben von nichts als, Dünen und Gebüsch, zu Fuß bei eisiger Kälte von List nach Kampen laufen?" empört sich Lilly und überlegt, welcher seiner Freunde, so einen Quatsch anzettelt. Brian Adams meldet sich mit `Summer of 69`. Sie summt ein wenig mit und hebt dann doch ab. "Ja? Wie ist es? Kalt?", spricht sie mit einer Stimme, wie es mütterlicher nicht sein könnte.

 

 

"Wir gehen bis zum Haltestellen-Häuschen. Da kommt bestimmt gleich ein Bus." blabbert er mit Hintergrundgeräuschen, die erkennen lassen, dass der Fünfzehnjährige nicht allein von Sinnen ist. "Ok. Aber ob Samstag Nacht ein Bus kommt? Sonst rufst du nochmal an." spricht sie ins Handy, wie es sich gehört, ohne sich aufzuregen, über den geistigen Zustand dieses Dreierrudels zu nörgeln, die scheinbar die Distanzen auf der Insel nach vielen Jahren immer noch nicht abschätzen können.

 

 

"Hat er überhaupt Geld mit?". Sie legt auf, bleibt ruhig, zieht sich an, kramt den Schlüssel raus und stapft in der eisigen Kälte bis zum Auto. "Wahrscheinlich ist jetzt sein Akku leer, wie es sich gehört in solchen Situationen.", lächelt sie kopfschüttelnd. Als er zuhause aus der heißen Dusche kommt, sieht sie erst seine roten Hände, die scheinbar doch schon richtig durchgefroren waren.