pass-angelegenheiten

 

"Der ist ja schon abgelaufen.", bemerkt Lilly, als sie den Kinder-Pass ihres Sohnes kopieren will. "Genau, die halten ja nur 5 Jahre, nicht 10.", ruft sie sich in den Geist, dass ihr das damals auch extra gesagt wurde. "Jetzt bist du schon fast 4 Jahre drüber und ist noch nie wem an der Kontrolle aufgefallen.", staunt sie aber auch mit einem Schmunzeln. "Wir brauchen auf jeden Fall gleich neue Fotos für dich.", ruft sie ihrem Sohn zu und lächelt, als sie sein altes Passfoto im Ausweis betrachtet. "Da hattest du noch diesen roten Hoodie - so einen besorgen wir unbedingt wieder!"
"Ich hab jetzt einen grünen mit Kapuze, das reicht.", kommt die verbale Retoure aus dem Jugendzimmer. "War das jetzt politisch?", schickt sie nochmal einen Kommentar zurück, bevor Ruhe einkehrt, weil sie sich gleich das erforderliche Formular auf der Seite des Honorarkonsulats herunterlädt und ausdruckt, während sie auf den Kalender klickt, wo die Termine reserviert werden können. "What? In drei Monaten und nur unter der Woche? Wie soll das gehen?"
Sie liest weiter: die Bearbeitung kann drei bis sechs Wochen dauern. Sie markiert schnellstens den ersten freien Termin - ihr fällt auf, dass es auch in Berlin ein Österreichisches Konsulat gäbe und vermutet, dass dort größere Dimensionen mit mehr Möglichkeiten vorhanden sind, doch geirrt: nächster Termin in mehr als drei Monaten.
"Wie viele Österreicher kann es in Deutschland geben? Ich lass uns einbürgern, dann haben wir das Problem nicht mehr, aber ob das nach fünfeinhalb Jahren schon möglich ist?". Auf der Gymnasium-Homepage sucht sie zuerst das Formular für Freistellung vom Unterricht. "Wenn du Schule abgeschlossen hast, kannst du dich sowieso einbürgern lassen, dann bist du Deutscher!", ab da läuft nur noch lautstark Falco und Hubert von Goisern im Zimmer.
Scheinbar will er, wie so viele andere, sich nur hier aufhalten und hier arbeiten, aber nicht seine Identität antasten. Sie schiebt dieses Thema also vorerst auf die lange Bank und überlegt, ob es nicht schöner wäre, den Pass zuhause verlängern zu lassen, wo dies ja in einem Vormittag erledigt ist, und mit einem Besuch bei ihrer Familie, Verwandtschaft und Freunden zu verbinden.
Da sie grade auch noch ihren Pass kontrolliert, fällt ihr auf, dass es vom Jahr 2020 bis zum Jahr 1950 zurück genau 70 Jahre sind. "Wirst du 70?", schreib sie ihrem Vater eine Kurznachricht. "Ja. Vielleicht.", schreibt der zurück. "Da kommen wir vorbei zum Feiern.", freut sie sich über ihre spontane Eingebung, macht eine Rund-Sms an ihre Töchter.
"Wenn ich dann noch da bin...", schreibt ihr Vater zurück. "Machst du etwa Drama statt Sport?", ermahnt sie ihn, weil sie weiß, dass ein wenig körperliche Bewegung durchaus anzuraten ist. Sie schreibt auf den Jahreskalender im Kinderzimmer den neuen Termin und still, aber doch sehr, freut sich da einer. Insgeheim überlegt sie, sich bei der Gelegenheit einen Goldie aus der Zucht in Bozen zu holen, doch das ist eine andere Geschichte.