"Aprilscherz natürlich!", lacht Lilly, als sie ihren Story.One-KollegInnen einen Streich spielen will, zu dem sie gerade
durch das 1. April-You-Tube-Video ihrer Tochter animiert wird. Die hat sich einen Handtuch-Turban gewickelt und eine rote Haarfarbe in Augenhöhe gezeigt, mit der sie sich angeblich gerade
selbst ihr langes, hellblondes Haar gefärbt hat und gleich live das Ergebnis begutachten will.
Als Lilly gerade Panik bekommt, weil sie weiß, wie schwierig es ist, von dunkelbraunem Haar überhaupt auf ein gleichmäßiges
Blond zu kommen, legt die 22jährige die Farbschachtel weg und greift zum beigen Handtuch. Lilly schüttelt den Kopf und seufzt: "Nein. Warum hast du das gemacht? So langweilig kann es doch gar
nicht sein zuhause.". Lilly guckt, wartet gespannt, was das jetzt werden soll.
Benita beugt in seitlicher Ansicht den Kopf langsam nach vorne und zieht das Handtuch vom Kopf. "April! April!", lacht sie
laut direkt und nah in die Kamera und schüttelt ihren blonden Zopf hin und her. Lilly schreck zurück. "Paaahhhh! Voll erwischt!", fällt ihr ein Stein vom Herzen. Benitas Schwester, die von
Beginn an den Part der Kamerafrau übernommen hat, lacht hörbar mit. "Tja. Biester..."
Früher hatte Lilly selbst auch hin und wieder mal Anfälle, das gestresste und ausgefranste, dünne, gebleichte Haar wieder
dunkelbraun oder sogar schwarz zu färben, was dann genau zwei Tage hält, sich erstens wieder auswäscht zu einem mausgraubraun und zweitens möchte sie sich die Haare in der Farbe ihrer
Vergangenheit - schließlich 41 Jahre lang - einzeln vom Kopf reißen. Sylt verlangt ein Friesenblond, also das richtige hellblond und Haarstyling oder Glätten fällt völlig weg, der Wind
erledigt den Rest.
Sie hat sogar inzwischen aufgehört zu föhnen, lässt die wilden Naturwellen so sein, wie sie trocknen. "Ob es stadttauglich
ist?", überlegt sie manchmal, doch muss sie ja in keiner Bank oder Werbeagentur im Businesskostüm das Haar dreiwettertaftmäßig glänzend und fixiert verlockend irgendwelchen Kunden
entgegenhalten und den Eindruck erwecken, sie sind in kompetenten Händen, weil sie ihre Haare und Aussehen perfekt im Griff hat, somit in das zwanghaft analfixierte Kontroll- und zeitgemäße
Cool-Schema passt.
Nachdem sie ihre Kleidung aus früheren Zeiten auch längst an ihre Töchter weitergegeben hat, der Anspruch auf der Insel eher
auf den Zwiebellook von Bikini über Sommerkleid, Sweater für den Sonnenuntergang, Kurzmantel für den Drink an der Promenade und im Winter mit einem langen Daunenmantel mit Kapuze ergänzt, nur
von Flip-Flops auf Stiefel umsteigt, setzt, ist beim Blick auf ihren schmal gewordenen Kleiderschrank alles im grünen Bereich.
Eine Rubrik fehlt: seidig-farbige Cocktail- oder Ballkleider. Sie vermisst manchmal, sich wie ein bunter Ara herauszuputzen,
schönen Schmuck anzulegen und mit Freundinnen neben schlicht gehaltenen, einfarbigen Anzugmännern zu glänzen. "Auch das kommt wieder, irgendwann..."