GEBURTSTAG AM STRAND

 

 

 

Irgendwann im Sommer, irgendwer hat Geburtstag, irgendwo werden Strandkörbe im Kreis zusammengerückt, irgendeiner stellt seine JBL auf und zankt sich mit irgendeinem anderen darum, welche Art von Musik nun ablaufen sollt, irgendwie schafft sie es, sich von den engen Schuhen zu befreien und vergräbt ihre Zehen im warmen Sand, irgendwo knallt ein Korken und wer zuerst einen der Picknick-Sektkelche ergreift, lässt sich vom fein sprudelnden Schaumwein einschenken, irgendjemand legt sich so in den Strandkorb zurück, dass sich Lilly bequem anlehnen kann und sich geborgen fühlt, bevor sie dann doch ihrer Unruhe nachgibt, aufsteht und mit irgendwelchen anderen Leuten hier am Strand in dieser geselligen Runde mit der Insel im Rücken und dem Meer vor sich, zu den RnB-Rhythmen die Hüften schwingt und irgendwelche, einzeiligen Witze erzählt. Und als ist es noch nicht Glück genug, gibt es noch eine Draufgabe:

 

 

"Was ist das?", ruft sie überrascht, als sie das zarte, hellgrüne Leuchten am Nachthimmel gegen Norden entdeckt. Keiner reagiert. Die Gleichgültigkeit der anderen ist ihr egal. Es gibt zwei Dinge, die sie in der Zeit auf der Insel noch nicht gesehen hat: Wale, und Nordlichter.

 

 

Bisher dachte sie, die Region sei nicht weit genug im Norden, doch ihre Augen rissen sich so weit auf, als möchte sie das Leuchten mit ihren Blicken einsaugen und verschlucken. "Ist das jetzt echt?". Sie ist unfähig, sich zu bewegen, um die Kamera des Handys zu öffnen. Dazu muß sie erstens ablassen vom Leuchten am Nachthimmel und das war unmöglich, weil sie dachte, wenn sie nun wegguckt, verliert sie es und zweitens war innerlich schon geklärt, dass es keinen Sinn hat, das Phänomen fotografieren zu wollen, auch nicht mit der Nacht-Einstellung. Sie entschließt sich kurzerhand dazu, einfach so stehen zu bleiben und zu starren.

 

 

Dieses innere Glücksgefühl muss rund um sie ebenso gestrahlt haben, wie das Grüngelb am dunklen Himmel. Es war, als würde sich ein Portal zu einer anderen Welt öffnen, in das nur sie eingetreten ist. "Glücklich, wer so etwas öfter sehen darf", beneidet sie alle, die noch weiter im Norden leben und ihre Tages- und Jahresabläufe ganz anders einteilen, als der Rest der Welt.

 

 

Lilly war weder ansprechbar, noch hört sie das Meeresrauschen, das Lachen, die Musik, die Möwen. Es gibt nur sie und diesen feinen, hauchzarten, hellgrünen Streifen. Es war so verwirrend für die Sinne: Himmel und grün war wie Sandstrand und Schnee.

 

 

Innerlich macht sie auf ihrer Wish-List ein Häkchen, doch kommt nicht in Frage, sich zu bewegen oder mit den Augenlidern zu zwinkern, denn dann wäre es vielleicht verschwunden. Sie hält lange durch, steht einfach da, bis sich ihre Pupillen langsam ein wenig entspannen und erste brauchbare Atemzüge wieder durch die Atemwege in die Lunge fegen. Der gelbgrüne Streifen vermischt sich mehr und mehr mit dem Dunkel.

 

 

"Was ist denn los mit dir?", fragt sie irgendwer von hinten. "Aurora Borealis.", flüstert sie.