SEASIDE-MEMORIES

 

 

 

"Zeit, komm zurück." schreibt er unter sein Bild auf seinem letzten Post einer Social-Media-Plattform, die viele inzwischen nutzen, um damit Geld zu verdienen. Lilly nimmt die Botschaft zur Kenntnis, verharrt kurz, um das Foto zu betrachten, auf dem er scheinbar immer noch die schicke Uhr mit dem weichen Lederband trägt, die sie ihm geschenkt hat, verbucht dies aber als nicht ernst zu nehmende, jugendliche Verliebtheit. Tja, das nächste Bild zeigt Heidi Klum bei der Hochzeit mit ihrem jungen Lover, das nächste Demi...

 

 

Das Handy fliegt in eine weiche Ecke der Couch. Viele Stars prostituieren sich und ihr Privatleben, um von Life-Style-Produkt-Produzenten dafür bezahlt zu werden, zufällig deren Tequila-Flasche in der Hand zu halten oder gehypte Sneaker zu tragen, also ein Schuhwerk, dass für eine Stunde Sport erfunden wurde, meist aus Kunststoff, mit toxischen Klebern in Asien in einer unbelüfteten Fabrik hergestellt.

 

 

"Je hässlicher, desto teurer." nörgelt Lilly vor sich dahin und wird diesen Trend nie verstehen, im Gegensatz zu ihrem Sohn, dem es unmöglich ist, normale Lederschuhe zu tragen. Sie geht am liebsten barfuß in der Wohnung, am Strand, im Yoga-Kurs, im völlig überteuerten, aber großzügigen und vor allem direkt am Strand, mit großartigem Blick auf den weiten Nordsee-Horizont, liegenden Freizeitbad mit schönstem Sauna-Paradies im Untergeschoss. Leider hat Lilly die gleichen Gedanken.

 

 

Sie würde viel dafür geben, die Zeit zurückzudrehen. Es wäre wunderbar für immer in großartigen Zeiten auszuharren, während sich Wolke Sieben noch flauschig und aufregend ums benebelte Gehirn als Puffer zur Außenwelt schmiegt. Diese spezielle Ära war etwas Besonderes: Er war exklusiv für sie alleine.

 

 

Lilly öffnet die Lade mit den gesammelten DVDs mit ihren absoluten Lieblingsfilmen, die chronologisch geordnet ohne Hülle in einer schicken Tasche ein wenig versteckt ihr Dasein fristen, um nicht als nostalgisch oder abartig zu gelten in Zeiten von Netflix & Co. und kramt einen alten Film raus. Meryl Streep hat noch Farbpigmente im Haar und spielt eine Therapeutin, die sich in einer Sinnkrise wiederfindet, weil eine ihrer Klientinnen zur Liebhaberin ihres Sohnes wird. Der Punkt ist dabei, er ist mehr als ein Dutzend Jahre jünger als die attraktive Blondine - heutzutage Standard, damals exotisch.

 

 

"Ich guck einen Film." ruft Lilly durch die Wohnung, um Bescheid zu geben, dass sie die nächste Stunde nicht auf Abruf Chauffeurin, Seelentrösterin Nachhilfe-Lehrerin, Stilberaterin, Köchin oder Geldautomatin ist. Da ihr der Anfang dieser Love-Story bekannt ist, sie die Dialoge kennt und auf hungrig machende Liebesszenen grade keine Lust hat, switcht sie zum letzten Kapitel.

 

Sie will einfach nur mal genau hinsehen, wie es ist, wenn es sich nicht um ein zwingend notwendiges Happy-End-Forever handelt. Der Schluss gefällt ihr sogar sehr gut. "Genauso mach ich das auch: Augenaufschlag, Lächeln und ... Weiterplaudern."