showtime

 

Jeder waschechte Cineast denkt an den Billy Wilder-Hollywood-Movie aus dem Jahr 1954 mit Audrey Hepburn und Humphrey Bogart, in dem die Chauffeurs-Tochter aus Paris nach Long Island zurückkehrt und gleich zwei Verehrer verzaubert, wenn er den Namen Sabrina hört.
"Ach so, Sabine heißt er." rüttelt sich Lilly schnell wach. "Das war dann ein Hörfehler, Sabine ist auch gut - der erste weibliche Orkan?" Ein kreativer, gender-gerechter Metereologe hat das mit inzwischen 123 Kilometer pro Stunde über die Dächer und Wasseroberfläche fegende Sturmtief, "Sabine" getauft.
"Showtime für die Natur!". Wind- und wetterbegeisterte Paare finden sich noch schnell an der Promenade ein, um aufregende Selfies zu sammeln, während sie mit einer Hand das Handy halten, mit den anderen beiden die Mützen und mit der vierten den Auslöser tippen.
Ab Mittag fahren keine Personenzüge mehr, die Sylter Welle schließt früher, Veranstaltungen werden abgesagt, Tannenbäume und Mülltonnen fliegen von einer Straßenseite zur anderen, die Wellen der Nordsee erreichen die Befestigung an der Uferseite, die Syltfähre will noch mutig ihren Fahrplan einhalten, um wagemutige Fahrgäste von dem bereits überfluteten Auto-Strand in Dänemark auf die geduckt und windfest in der Nordsee liegende Geister-Insel bringen.
An das Fenster prallen massivst die querbeschleunigten Regentropfen. Lilly denkt an ihr Auto und ob es sicher steht, dort, wo sie es den Tag zuvor hin geparkt hat. "Wird schon nichts runterfallen vom Haus daneben, oder?" sinniert sie vor sich dahin und will sich nicht vorstellen, wie es hier wäre, nur mit der Tretmaschine, wo auch seit Herbst Reifen, Bremse und Kette gerichtet werden müssen. Viele Dinge, wie Großeinkäufe, Weg zur Arbeit, und zu den karibischen Stränden an der Süd- und Nordspitze sind einfacher im Flitzer.
"Ob sich morgen früh die Tore der Schule öffnen? Wie sollen die Lehrer alle vom Festland rüber kommen?", spricht sie mit dem Stift auf der Übungsmappe für Französisch-Vokabel, das neben dem Übungsheft für Französisch-Grammatik liegt und sehnsuchtsvoll auf Beachtung wartet, einem jugendlichen Gymnasiasten weiter ins nächste Kügelchen helfen will.
Nicht mal finanzielle Anreize oder Prämien, wie Apple-Watch oder Flugreisen greifen momentan. Wie auch, wenn sich das jahrelang wohlgehegte und gepflegte Individuum hinter verschlossenen Türen aufhält, über gewisse weiße Ohrsender straight zu den aufnahmebereiten, lernwilligen Gehirnzellen, Texte von gewalt- und drogenverherrlichenden Rappern, die ja auch irgendwie ihre Miete verdienen müssen, vordringen - statt französischen Chansons und Hörspielen und der jugendliche, visuelle Wissensdurst von einsamen You-Tubern, die auf ihrem Schreibtischsessel unkontrollierten Stuss von sich geben, gestillt wird, neben denen das Kinderlied des NWR wirkt wie ein Seelentröster. Sie guckt vorsichtig ins Kinderzimmer. Er schläft und bekommt nichts mit von Sabine.