marry Poppins lässt grüßen

 

Die ersten elf bis zwölf Geschichten eines Buches fließen wie geschmiert in die Tasten - die letzten fünf lassen sich sehr bitten, aus dem tiefen, seligen Pool der Erinnerungen aufzutauchen. "Hallo Scotti! Einmal die schönen Memories auf das leere, digitale Blatt Papier beamen bitte.". Da kannst du hundertmal zum Kühlschrank gehen, ins Bad oder beim Balkon rausgucken, um den Schreibtisch tanzen oder den Radio auf Full Volume drehen.

 

 

Sie bräuchte nur noch die Details einzufügen, doch genau für diese bedarf es einen Sprung von Mary Poppins mit Bert in das malerische Straßenbild. Sie will das Reisebüchlein endlich fertigbekommen, da sich frische Lebensgeister in der Außenwelt nach der Kontaktsperre bemerkbar machen und die Energie zieht wieder nach draußen. Eine Herausforderung sind jedes Mal wieder die 8 Bilder im Hochformat, da man die auf Instagram nicht schön posten kann und sie deshalb alles nur querformatig fotografiert hat.

 

 

Obwohl unter ihrem Notizzettel schon zwölf anderen liegen und es garantiert nicht fehlt, wenn dieses Kapitel abgeschlossen wird, ist es fast, als wollen die Erinnerungen verborgen bleiben. "Zeit für eine Fototour?", versucht sie das Aktiv-Teufelchen zu einer Inselrundfahrt zu verführen und die menschenlose Zeit zu nutzen, die einzigartige, natur- und objektbezogene Stimmung festzuhalten.

 

 

Kekse helfen nicht, das Onlinespiel, welches das Gehirn normalerweise und zuverlässig in den optimal abgedrifteten Zustand bringt, die Aufmerksamkeit schon mal von der Realität und den sonst noch Anwesenden im Raum, wie die durstige, aber blühende Zimmerpflanze oder die Schuhe vom Strandspaziergang auf der Heizung, den ewig nach neuen Druckerpatronen und geeignetem Wifi blinkenden Drucker, den goldenen Waterman-Füller in seiner dunkelblauen Verpackung, aus der er selten rauskommt, weil kein Mensch mehr mit Tinte schreibt oder einfach, weil er zu teuer ist, um gewöhnlich benützt zu werden und deswegen irgendwann verschenkt wird, wie die vielen anderen Designer-Stücke in Lillys Leben.

 

 

"Was bringen mir die teuren Klamotten, wenn ich sie nicht waschen kann?", bestätigt sie sich schnell selbst so manchen Schnellschuß-Ausverkauf in ihrem Kleiderschrank. Richtig Wehmut kommt auf, wenn ein Dolce&Gabbana-Shirt aus goldenem Glitzerstoff, welches sie in vielen glücklichen Stunden begleitet hat, nicht mehr passt, weil sie zugenommen hat.

 

 

Das Beste daran, die Kleider-Etticketten schneidet sie immer ab, weil die im Nacken oder auf der Haut knapp über dem Gürtel nerven. "Die Sonne scheint zu schön.". Es hält sie nichts mehr an diesem großen Eichentisch vorm Fenster - andere Dinge rufen nach ihr. "Wie es wohl wird nach diesen drei Monaten Ausnahmezustand?". Der Sommermantel legt sich um ihre Schultern: "Hallo Fremde.", grüßt sie sich selbst im großen Spiegel und huscht zur Tür raus. Es steht 1:0 für den verborgenen und schlummernden Erinnerungs-Schatz - er darf noch bleiben, wo er ist.