romeos heldentat

 

Die Motorhaube klemmt. Sie bekommt das schwarze Teil, dass wie eine Festung mit der Karosserie verhakt ist, nicht hoch. Egal, wie sie herumstochert und zieht, es rührt sich sich einen Millimeter - dafür ist der Lack der Klappe wenigstens zerkratzt. "Was machst du da?", ruft der junge Mann mit Glatze und Dreitagebart aus einem vorbeifahrenden Auto.
Lilly lässt genervt den Schraubenzieher fallen. "Uhhh. Lass das mal, ich komm gleich.", erschrickt der Nachbar, als er ihren Gesichtsausdruck sieht. Sie schüttelt den Kopf und versucht mit tiefer Atmung ihre Gefühle zu beherrschen und ihre Wut im Bauch zu behalten, wo sie besser aufgehoben ist, als in ihrer Kehle. "Ich glaub es einfach nicht. Und das in Zeiten der Emanzipation. Soll ich jetzt das hilflose Frauchen spielen, dass darauf wartet, dass ein Prinz auf seinem weißen Pferd daherkommt, um ihr mit Auto-Angelegenheiten zu helfen?", ärgert sie sich. "Zu spät. Da kommt er - mit dem ganzen Werkzeugkasten unterm Arm und einer 1,5 Liter Wasserflasche."
Lilly schüttelt enttäuscht von sich selbst den Kopf und ergibt sich hilflos dieser, für ihre Unabhängigkeit, niederschmetternde Stunde, während sie beim Aussteigen noch einen Blick an das Ende der Straße wirft, wo eine "richtige" Auto-Werkstatt liegt - jedoch mit geschlossenem Tor. "Also, wo hapert es ...?", fragt er lächelnd. "Das Zugseil für die Motorhaube ist gerissen."
"Und jetzt bekommst du den Deckel nicht auf?", schmunzelt er ihr ins Gesicht, während sie mit zusammengepressten Lippen und zur Seite gelegtem Kopf die blaue Motoröl-Flasche in die Höhe hebt und mit den Fingern der rechten Hand schnippst, wie eine bezaubernde Jeannie. Nur dass sich hier gar nichts von selbst ändert. Er ist fest dazu entschlossen, das Übel zu beseitigen, breitet seine Werkzeug-Schätze aus, nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche, weiß genau, was für Fantasie Lilly dabei jetzt gleich in den Kopf schießen wird. "Nein, wir denken nicht an das Eye-Candy aus der Cola-Werbung!", ruft sie ihre Hormone zur Ordnung.
Aufgrund der abendlichen Hitze nach einem sehr langen Sonnen-Tag und dem sich langsam verdunkelnden Himmel und der viel zu warmen Luft, beschließt sie, sich der Situation hinzugeben. "Sieht ja niemand.", beruhigt sie ihre inneren Amazonen.
Romeo versucht sein Bestes, schafft es sogar zentimeterweise Bewegung rein zu bringen, doch zuwenig, um den Haken zu lösen. Lilly kramt in ihrer Auto-Tasche. "Mal sehen, das vielleicht...". Also ich hab hier Feuchttücher für deine Hände, eine Taschenlampe... "Lampe hab ich selber.", ruft er von vorne.
Irgendwie, mit knallharter Ausdauer und einer schrecklichen Verletzung, wo Lilly dachte, er hat sich den ganzen Daumen abgestochen, inklusive filmreifer Verarztung dank Erste-Hilfe-Kasten, hat er es geschafft. "Na? Was wäre die Welt nur ohne uns Männer?", ist das Erste, was sie am nächsten Tag von den männlichen Kollegen zu hören bekommt, da die große Fensterfront genau zum Parkplatz zeigt.