dicke backe

 

Nach der Tennisballbeule auf der Stirn nach einem Stolperer und Aufprall mit dem Kopf auf der Granti-Treppenkante hat sich Lilly nun direkt über Nacht eine dicke Backe zugelegt. “Oh Mann, so kann ich nicht mal zu Halloween raus!", stellt sie erschrocken vorm Spiegel fest, außerdem ist ihr zum Schreien vor Schmerz und das immer wieder mit dem gleichen Zahn, den der Dentist schon für “tot” erklärt hat. Sie dreht sich um. Der Sohn enthält sich jeglichem Kommentar und das sagt nun einiges aus.

Lillys Gesicht sieht aus, wie eine der wabbeligen Kautschukmasken, die mal vor Jahrzehnten modern waren - in einer britischen TV-Comic-Serie. Vom linksseitigen Kieferknochen ist nichts mehr zu sehen, denn die fleischige Backe verbindet sich von unterm Auge gleich direkt mit dem Hals. Ihr kommen die Tränen - aber nicht nur vor optischem Entsetzen, sondern vor in erster Linie vor erbärmlichem Schmerz in der linken Gesichtsseite.

Es scheint, als wäre beim Genuss des köstlichen und eher selten aufgetischten Rindersteaks ein Stückchen vom Zahn abgebrochen und hätte sich ins Zahnfleisch vergraben. Nicht, dass Lilly nicht ein lecker Steak richtig braten könnte, zwar nicht so zart und rosa, wie es ihrem Sohn gelungen ist, was an seiner eigenen Jugend liegen muss, aber trotz allem, sind ihre momentan sensiblen Kauorgane seit einigen Wochen auf Schonprogramm eingestellt, wegen der vielen Baustellen, die ihr Beißerchen-Spezialist auf einmal in Angriff genommen hat.

Sie tastet das Kiefer von Innen ab. “Tja, hilft jetzt nichts - das abgebrochene und im Zahnfleisch vergrabene Zahnteilchen muss abtransportiert werden.”. Im Vertrauen auf die körpereigenen Fähigkeiten legt sie sich mit Kamillen- & Salbeitee, den sie Schluckweise lange im Mund behält und einer Anti-Angina-Lutschpastille auf die rechte Seite und hofft auf die nächsten Stunden. Beim Aufwachen hat sich der Schmerz ein wenig beruhigt und der Blutgeschmack am Zahnrest verflüchtigt.

Lilly mag nicht wirklich ins Bad zum Spiegel, aber es muss sein. “Nun versteh ich, warum sich die früher die Zähne selbst gezogen haben.”. Diesen Gedanken hatte sie nämlich nachts auch ein paar Mal. Der zum Kühlpolster umfunktionierte Weinkühler fürs Picknick aus dem Tiefkühlfach hat auch ein bisschen zur Beruhigung der Lage beigetragen.

Am Rücken also die flauschige Wärmeflasche, weil aus fraglichen Gründen in ihrer Wohnung bis auf zwei Heizkörper, trotz Gutschrift vom letzten Jahr, vom Mitbewohner, der für die Haustechnik in einer der Klinken zuständig ist, scheinbar seine Funktion dort mit der in der Wohngemeinschaft verwechselt, alle anderen ´abgedreht´ wurden, ebenso das Warmwasser am Waschbecken im Badezimmer, wie auch das Licht dort.

Bevor sie sich darüber bei der Wohnungsgenossenschaft beschwert, freut sie sich zum ersten Mal über das Tragen von Mundschutz, weil dieser ihr Kinn wenigstens “normalförmig” aussehen lässt, während dem Schlendern über die Friedrichstraße.