LANA-FEELINGS

 

 

 

Der Blick aus dem Fenster ins Dunkel und die Ruhe der Nacht, auf den zunehmenden Mond, der hin und wieder von sehr rasch vorbeiziehenden hellgrauen Wolken verdeckt wird, regt zu Nacht-Träumen an. Lilly starrt auf das Licht des verkraterten, halbvollen Himmels-Gestirns, das schon tausende von Jahren die Menschen fasziniert, Berechnungen anstellen und Weisheiten ausdenken lässt.

 

 

Sie versucht die Hasenfigur auf seiner Oberfläche zu erkennen, die ihr eine Damen-Runden-Stammtisch-Freundin einmal auf dem Weg vom Auto zu einer Wein-Verkostung, mit Geschenken, einem Blumenstrauß, engem Rock und High-Heels bewaffnet, auf dem hellen Vollmond gezeigt hat. Damals war Lilly noch spindeldürr, aber durchtrainiert, leidenschaftlich dunkelhaarig und vom vielen Sonnenbaden und Schwimmen tiefst gebräunt, Rena, wie immer smart, mega-schick, wie ein Christbaum behangen mit utopisch teurem Schmuck, super-sexy blond.

 

 

"Siehst du ihn?" fragt Rena, während sie mit ihrer freien Hand Lilly am Oberarm den schnellen Schritt über den gepflasterten Gehweg anhielt, die wiederum dem, nach oben gerichteten Blick ihrer Freundin aus deren wunderschön ebenmäßigen Gesicht mit prallen Lippen, umrahmt von einem perfekten Kinn-Schwung, fragend folgte. "Wen?". "Den Hasen.", erwiderte Rena, obwohl sie auf den Mond starrte. Oft waren sie bei Vollmond unterwegs. Im Trend lagen Full-Moon-Clubbings.

 

 

Es wurde kurz still zwischen den beiden und außer den vorbeifahrenden PS-Kutschen und leisem Atmen, hörte Lilly nur die Stimme in ihrem Kopf, die den Verdacht äußert, Rena hätte vor dem Abendessen schon Prosecco als Aperitif genossen. "Ahhh! Hab ihn!" rief Lilly aus, denn urplötzlich eröffnete sich ihr der sitzende Hase mit langen Ohren auf dem runden Himmels-Gestirn. Rena lächelte zufrieden. Doch heute zeigt sich kein Hase im Mond.

 

 

Lilly konzentriert sich auf das Online-Seminar, dass neben ihr abläuft, checkt ihren cleanen Posteingang, ordert ihr Lieblings-Parfum, bedauert, dass es diese hellblau sprudelnden Bade-Bomben nicht mehr gibt, lässt ein You-Tube-Video ihrer Tochter ablaufen, scrollt Bilder, klickt versehentlich #challenges an, findet den Eintrag #vivaitalia, der sie augenblicklich gedanklich in ihr Au-Pair-Jahr versetzt, wo sie sich mit diesem verführerischen, jungen Mann aus Neapel, den sie morgens beim Tai-Chi an der Brüstung des wunderbaren Parks der Villa Borghese getroffen hatte, in Rom wiederfindet.

 

 

Sie erinnert sich noch gut an den bezaubernden Ausblick von der Piazzale Napoleone über das Dächer-Meer der Altstadt bis hin zum Vatikan. Sie war erst kurz in Italien, die quirrlig-romantische Sprache verstand man auch ohne sie gelernt zu haben. Es ging um "Mama", "Neapel", "Kindergärtner" und "Heiraten". 

 

Sie band ihren Schnürsenkel und lief weiter entlang der antiken Stadtmauer, um einen verführerischen Kuss abzuwehren, der vor dieser gnadenlos perfekten Kulisse zu kitschig für ihr Alter gewesen wäre.